Mittendrin in der Katastrophe
Zwei Kollegen der NBB helfen eine Woche lang im überfluteten Ahrweiler aus
Fast eine Woche haben David Hapka und Timo Buchholz im Katastrophengebiet in Rheinland-Pfalz verbracht und den von der Flut betroffenen Menschen in ihrer Not geholfen. Die beiden Mitarbeiter der NBB Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg mbH & Co. KG sollten eigentlich in der Dr. Ehrenwall’sche Klinik in Ahrweiler, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie, Neurologie und Psychosomatik, Erste Hilfe leisten. Die evakuierte Klinik ist ein wichtiger Kunde der GASAG Solution Plus aus Essen. Am Ende packten die jungen Männer nicht nur dort mit an, sondern überall, wo ihre Hilfe in Ahrweiler benötigt wurde.
„Bitte versuchen Sie nicht unsere Klinik aufzusuchen!“, steht in roten, warnenden Worten auf der Webseite des Ahrweiler Fachkrankenhauses. Über der Warnung idyllische Fotos und weiter unten ein Video von einst: ein grün bewachsener Park mit kleiner Brücke über einen Bach, halb in der Sonne, halb im Schatten – daneben eine Reihe von Häusern, die zum Klinikgelände gehören. Allesamt gepflegt, einladend – wer Ruhe und Genesung sucht, scheint hier am richtigen Ort.
David Hapka und Timo Buchholz bietet sich am Morgen des 20. Juli ein gänzlich anderes Bild. Vor der Klinik sieht es aus, als hätte ein Riese gewütet und mit allem um sich geworfen, was ihm in die Hände kam. Zerbrochene Bänke, ein Transporter mit Ahrweiler Kennzeichen, dessen Hinterteil sich auf der Umzäunung des Mitarbeiterparkplatzes verkantet hat und überall Müll, Schutt und Schlamm. „Die Klinik“, sagt Geschäftsführer Dr. Christoph Smolenski, „ist nahezu zerstört.“ Viele Mitarbeiter hätten ihr Haus, Hab und Gut verloren. Die Patienten seien entweder entlassen oder mit privaten Pkw in die benachbarte Klinik nach Andernach verlegt worden.
Dabei hätte es für die Bewohner der Stadt noch dramatischer werden können. Smolenski: „Laut Aussage von Fachleuten wirkten die vielen Gebäude, Parks und Mauern der Dr. von Ehrenwall‘schen Klinik wie Wellenbrecher und bewahrten dadurch die Altstadt Ahrweiler vor noch Schlimmerem.“ Was die beiden 21 und 23 Jahre alten Männer der NBB-Sperrkolonne auf dem Krankenhausgelände und in den Tagen darauf zu sehen bekommen, übertrifft ihre schlimmsten Erwartungen und all das, was ihnen vorher in den Fernsehnachrichten zugemutet worden war.
Ihre Entscheidung, den weiten Weg nach Ahrweiler anzutreten, treffen sie spontan. „Wir wurden gefragt, wer das übernehmen würde“, erzählt David Hapka. Hapka, seit sieben Jahren bei der NBB, wägt nicht lange ab, obwohl seine Frau im fünften Monat schwanger ist. Auch Timo Buchholz braucht wenig Bedenkzeit. Er gehört erst seit vier Monaten zur Mannschaft, aber hat bei der Feuerwehr schon so manch brenzlige Situation überstanden. Ausgerüstet mit zwei Tauchpumpen, Notstromerzeugern, einer Unmenge an Schläuchen, mit Kettensägen, einer Flex und natürlich Benzin machen sie sich noch am gleichen Tag mit dem Iveco-Werkstattwagen auf die Fahrt ins Ungewisse.
So spontan, wie sich die beiden Männer für den Einsatz entscheiden, so spontan ist auch die Rettungsaktion an sich zustande gekommen. Als Christian Lipski, Leiter Technik West bei der GASAG, nach Starkregen und Hochwasser plötzlich merkt, dass alle Anlagen des Fachkrankenhauses von der Fernüberwachung verschwunden sind, schwant ihm Böses. „Über mehrere Tage war unser Kunde nicht erreichbar“, erinnert er sich. Mit den Fernsehbildern vor Augen kann er sich dennoch in etwa ausmalen, was in Ahrweiler geschehen ist. Als dann endlich der stellvertretende technische Leiter der Klinik um Hilfe bittet, weil die inzwischen längst evakuierten Gebäude weder über Gas, noch Strom und auch kein fließend Wasser verfügen, kommt Berlin in Bewegung. GASAG-Vorstand Mattias Trunk kontaktiert NBB-Chef Maik Wortmeier, der wiederum mit seinen Führungskräften nach einer kurzfristigen Lösung sucht. Der Rest ist bekannt.
Einen halben Tag haben David Hapka und Timo Buchholz in der Fachklinik zu tun. Am Dienstagmorgen ist der Wasserspiegel in den Kellern etwas gesunken. Beide stellen die Notstromerzeuger auf, schließen Pumpen und Schläuche an und lassen es aus Haus F hinauslaufen. „Die wollten unbedingt Zugang zu den Anlagen bekommen und sie wieder in Gang bringen“, sagt David Hapka. Zudem soll schnellstmöglich die Tagesklinik innerhalb des Krankenhausgeländes wieder den Betrieb aufnehmen. Das Klinikgelände ist groß und weitläufig. Die Patienten sind im Alltag auf mehrere Häuser in Pavillonbauweise verteilt, jedes unterkellert und mit Technik ausgestattet. Seit 2010 hat die GASAG Solution Plus das Fachkrankenhaus als Kunden unter Vertrag. Die Klinik wurde 1877 von Carl von Ehrenwall als Dr. von Ehrenwall'sche Kuranstalt für Gemüths- und Nervenkranke gegründet, und befindet sich in vierter Generation in Familienbesitz. 2008 beschäftigte die Klinik 323 Mitarbeiter und ist somit einer der größten Arbeitgeber in Bad Neuenahr-Ahrweiler.
Als die beiden Berliner NBB-Helfer den Keller halbwegs trocken haben und weitere Hilfe seitens der Klinik nicht benötigt wird, rücken sie ab und fahren durch jene Straßen der knapp 30.000 Einwohner-Stadt, die passierbar sind. Was sie sehen, „sieht wüst aus“ und brennt sich für die Ewigkeit in ihr Gedächtnis. Ein Friedhof, der von Schlammlawinen überzogen worden ist, die selbst Autowracks auf die Gräber gespült und dort beerdigt haben. Völlig zerstörte Brücken, eine Gasregelstation nahe der Ahr, von der nichts mehr übrig geblieben ist bis auf versandete Rohrleitungen. „Auf der Autobahn war eine ganze Spur dicht, die mit Schutt und Gerümpel blockiert war“, erzählt Timo Buchholz und beschreibt seine Eindrücke in zwei Worten: kompletter Katastrophenzustand.
Und über allem liegt der Gestank nach Morast und Abwasser. „Wir sind dann einfach gefahren und haben aus dem Fenster gerufen: ‚Wer hat Wasser im Keller??‘ – die Antworten haben nicht lange auf sich warten lassen“, sagt David Hapka. Und so springen die NBBler dort aus ihrem Werkstattwagen, wo sie gebraucht werden. Pumpen Keller leer, schleppen Schutt weg und trösten immer wieder verzweifelte, weinende Menschen, die froh sind über die Hilfe und den Kontakt, weil sie mit ihren Handys kein Netz haben oder ihnen der Strom fehlt, um die Akkus aufzuladen. „Das waren schon harte Momente, so unbegreiflich, extrem“, fasst Hapka zusammen. Seine große Angst im Unterbewusstsein: Beim Auspumpen von vollgelaufenen Kellern auf eine Leiche zu stoßen. „Das Gute war: Wir haben keine Toten gesehen.“
So pumpen sie Garagen aus, schippen bis Mitternacht Schlamm und Müll, legen einen Fahrstuhlschacht trocken, damit der Lift, auf den ältere Bewohner angewiesen sind, irgendwann wieder in Betrieb gehen kann, bevor sie für kurze Zeit in unmittelbarer Nähe, in Meckenheim, in ihrem Hotel (ohne Warmwasser) ein wenig Ruhe finden. Und David Hapka seine schwangere Frau zuhause beruhigen kann.
Drei volle Tage immer wieder das gleiche Programm und die Begegnung mit Not und Elend. Für die beiden Männer ein Einsatz an der Belastungsgrenze. „Der Schlamm in den Kellern war zum Teil so hart wie Beton. Da musste die Feuerwehr erst 2000 Liter Wasser reinlaufen lassen, damit wir ihn überhaupt irgendwie entfernen konnten“, sagt Timo Buchholz. Auch die Technik kapituliert fast vor der Katastrophe: Die Pumpen können es mit dem hohen Schlammanteil kaum aufnehmen und sind ständig überhitzt. „Wir haben sie am Laufen halten können, indem wir mit einer Drahtbürste ständig das Sieb gereinigt haben“, sagt David Hapka.
Es werde Jahre dauern, bis dort alles wiederhergestellt ist, glaubt der NBB-Mann. Aber er ist zuversichtlich und auch froh, dort gewesen zu sein und die Katastrophe mit eigenen Augen gesehen zu haben. „Wir wollten den Menschen helfen und haben das getan“, resümiert er. Und bekam auch Hilfe – ob vom holländischen Bikerclub, an dessen Stand sich die Helfer versorgen konnten, oder beim Stützpunkt der Bundeswehr, wo ein geplatzter Reifen am NBB-Werkstattwagen in Windeseile ersetzt worden ist. „Das war fast schon wie beim Boxenstopp in der Formel 1“, lacht Hapka. Wie es weitergeht in Bad Neuenahr-Ahrweiler, werden beide verfolgen. In den Nachrichten und auch über private Kontakte, die sie vor Ort geknüpft haben. „Mit einer polnischen Familie, die wie wir im Hotel untergebracht war, haben wir die Telefonnummern ausgetauscht und stehen jetzt über Instagram miteinander in Kontakt“, freut sich Hapka. Wenn er in vier Monaten Vater wird, kann er später seinem Kind einiges von der Jahrhundertkatastrophe erzählen.
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